Chaoten Auf der Horst – gab es immer, wird es immer geben – ein Kommentar von Bianca Schulze

Foto:Stadtarchiv Garbsen/Fotograf: Guthmann, Rudolf (16.10.1887 - 07.02.1972);

Garbsen – mein Name ist Bianca Schulze, ich bin Geschäftsführerin von GCN und selbst Auf der Horst groß geworden.

1968 bin ich in die Grundschule Saturnring eingeschult worden. Mein täglicher Schulweg führte mich durch die einzelnen Höfe, der mir manchmal schon früh am Morgen ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Vielleicht laufe ich Michael T. wieder über den Weg, da könnte es nämlich gut sein, dass der mir wieder mein Taschengeld abnimmt oder mir grundlos eine Ohrfeige haut. Letzte Woche haben Michael und seine Kumpels Frank, Andreas und Hansi meiner Mutter die Einkaufstaschen geklaut und ihr die Geldbörse angenommen. Oft bin ich an verschmorten Matratzen aus den sogenannten „Hobbykellern“ (damals haben die Jugendlichen die Keller als Treffpunkt genutzt) vorbeigegangen, die letzte Nacht von der Feuerwehr gelöscht werden mussten. Familie Hempels (Name erfunden) hat auch mal wieder den Sperrmüll auf die Wiese geschmissen, wo wir eigentlich spielen wollten.

Es gab Tage, da ist man lieber in der Wohnung geblieben, das war schon in den 1970-er Jahren so, denn unten vor den Häusern  im Jupiterhof trafen sich in den Abendstunden oft mal 20 Leute aus dem Kastorhof, die sich mit mindestens 30 Leuten aus dem Neptunhof prügeln wollten, manchmal waren es noch mehr – die kamen dann vom Pottberg (Altgarbsen). Silvester war dann immer richtig was los Auf der Horst. Michael und seine etwa 15- 20 Kumpels (so sagten wir damals, heute sagt man „Bro´s“?) sprengten mit Kanonenschlägen fast jeden Briefkasten in mehreren Häusern und warfen ihre Raketen und Böller auf alles, was sich bewegte, auch auf die eigenen Freunde. Als die Polizei kam, waren sie verschwunden. Meine Brüder standen damals daneben und haben gestaunt, wie mutig die Clique doch war und überlegten auch da mitzumachen. Ich denke, die Angst vor den Ohrfeigen meiner Mutter haben sie davon abgehalten.

Damals ist sogar eine junge Frau an ihren Verletzungen fast gestorben, weil sie einen Kanonenschlag in die Kaputze bekam, der an ihrer Halsschlagader explodierte. Nur damals bekamen weniger Menschen davon etwas mit, denn es gab noch kein Facebook und Co. Unsere Nachbarn und wir kannten das schon, einige haben ihren Briefkasten schon vorsorglich abgeschraubt, oder wenigstens zugeklebt. Meine Freundinnen und ich durften Silvester erst gar nicht raus, schade eigentlich.

Foto:Stadtarchiv Garbsen/Fotograf: Guthmann, Rudolf (16.10.1887 – 07.02.1972);

Damals trugen die Jugendlichen alle „Parker“ (grüne Jacken, die ein wenig aussahen wie Bundeswehrkleidung) mit großen Taschen, in denen entweder eine Bürste, Zigaretten oder ein Flachmann steckte. Meine Freundin Andrea und ich, unsere Freunde Andi, Michi und Klaus trugen auch Parker, aber waren wir deswegen alle gleich? Nein, wir sahen zwar kleidungstechnisch Auf der Horst und in anderen Stadtteilen irgendwie gleich aus, aber uns trennten Welten.

Randgruppen, die Auf der Horst randalierten, anderen Schläge verpassten, Keller- und Container anzündeten gab es Auf der Horst schon immer, ganz genau wie heute. Auch damals wurden Polizisten mit Eiern beworfen, oder die Luft aus den Einsatzfahrzeugen gelassen. Früher hatten die Chaoten allerdings selten bis gar keinen Migrationshintergrund. Was waren und sind das also für Jugendliche oder junge Erwachsene, die sich so aufführen, wie es in der Silvesternacht passiert ist?

Jetzt kann man spekulieren, warum sich Jugendliche allgemein (davon gibt es auch genug ohne Migrationshintergrund) so verhalten. Schlechtes Elternhaus, Eltern Alkoholiker oder drogenabhängig, mangelnde Aufmerksamkeit, Armut, falscher Umgang, gewalttätigen Vater oder Mutter, Einsamkeit, Probleme mit sich selbst, schlechte Schulnoten, keine Perspektive oder einfach nur Langeweile? Es kann viele Gründe für so ein Verhalten geben, das kommt immer auf die Person selbst an.

Auch zu meiner Zeit gab es viele Einrichtungen, die dafür sorgen sollten, dass wir Jugendliche beschäftigt, anerkannt und integriert werden, aber Michael und seine Kumpels wollten davon nichts wissen. Man geht nicht in die Kirche oder in ein Gemeindehaus, oder ins Freizeitheim, geschweige denn man spricht mit Sozialarbeitern. Wurde man dabei erwischt, weil es einem dort gefallen hat, gabs was auf die Mütze, denn schließlich hatten Michael und seine Kumpels überall Hausverbot, weil sie dort nur Mist gemacht haben – dann sollen auch schließlich die Anderen genauso ausgegrenzt werden, wie sie selbst.

Schon damals wurden wir, die gar nichts mit dem ganzen Mist zu tun hatten von Menschen aus anderen Stadtteilen mit verurteilt. Sprüche wie „Klar, wieder welche von der Horst“. „Kein Wunder, wohnt im Rigelhof“ „Da wohnt eh nur Pack“ waren an der Tagesordnung.

Einladungen zu Geburtstagen bekam ich nur von Freundinnen, die ebenfalls in ihrem Straßennamen einen Planeten vorweisen konnten, viele Eltern aus Altgarbsen, und anderen Stadtteilen verboten ihren Kindern mit uns zu spielen, oder sich zu verabreden.

Wenn ich heute  – nach über 45 Jahren – als Redakteurin Auf der Horst zu tun habe, bekomme ich ein Déjàvu nach dem anderen. Gestern saß ich in meiner Schule (Grundschule Saturnring) und sprach mit dem Schulleiter, dem Bürgermeister und anderen Menschen über die Vorkommnisse in der Silvesternacht. Sicher haben auch damals ständig Menschen zusammengesessen, die über uns Jugendliche Auf der Horst gesprochen haben und nach Lösungen suchten.

Heute 2023 sage ich: „Leute, Mohamed, Ali, Jussuf und Ibrahim (Namen erfunden) und seine anderen Kumpels, die ständig Mist bauen kriegen wir nicht, es sei denn Sie wollen es irgendwann selbst und sehen ein, dass ihre Taten schrecklich sind und lassen sich helfen. Kümmert Euch um den Rest, die da zwangsläufig mit reingezogen werden, gebt Eltern und Jugendlichen in dem Stadtteil eine Chance, stempelt sie nicht alle ab. Hört auf, diese Vorfälle auf ganz Garbsen oder auf einen Stadtteil zu projizieren und schiebt nicht alles auf die Flüchtlinge. Damals wie heute gibt es „sone und solche“, das ist so, war so und wird immer so bleiben. Reiner Hass auf Ausländer, Migranten und Flüchtlinge allgemein sollte nicht der Vorreiter sein, negative Kommentare über die Stadt, die Verwaltung, die Helfenden, die Menschen im Quartier, die Stadt Garbsen selbst, zu verfassen.

Ja, Justiz und Gesetzgeber müssen bei solchen Straftaten hart durchreifen und hohe Strafen aussprechen, egal ob der Täter Andreas oder Ali heisst. Bringt die Verurteilungen schnell und unbürokratisch über die Bühne und gebt Sie durch die Presse an die Öffentlichkeit – damit hier viele abschreckende Beispiele aufgeführt werden können und die Täter/innen vielleicht endlich einmal Respekt vor Polizei- Rettungskräften und derer entwickeln, die letztlich nur helfen wollen“. Alles Andere bringt uns nicht weiter.

GCN/Bianca Schulze